Sylvia Taraba
Coyote
Das so bezeichnete heilige Tier, lateinisch Canis latrans, wird der Familie der Hunde zugeordnet. Die Urvölker Nordamerikas sehen den Kojoten sympathetisch als den Listenreichen. Sie verehren ihn als Ahnen, als höchstes Wesen von widersprüchlichem Charakter, das in zwei Formen bei Höchstgeschwindigkeit der Transformation – körperlich-weltlich und geistig-göttlich - erscheinen, sich gar über den Anus von außen nach innen stülpen kann. Es erfüllt(e) also komplizierte psychologische Aufgaben wechselseitigen Wandels bei jenen transatlantischen Erdbewohnern, die ihre Abkunft vom Kojoten herleiteten.
Gottfried Bechtolds Konzeption etwas Typisches, Fertiges, Vorgefundenes aufzunehmen, es im doppelten Wortsinn zu verwenden, zu überarbeiten, neu zu bezeichnen, wird hier von ihm an Fotos einer Aktion von Joseph Beuys durchgespielt, die er in grafischer Fokussierung auf die Inhalte des Fundstücks bearbeitet.
Die wildernde empathische Geste gegenüber einem Ding, einem Objekt, einem Kunstwerk, einer Fotografie, einem industriellen Vordruck - genommen als Readymade - dessen skulpturale oder grafische Erweiterung - Akklamation oder Reflexion - jene Anspielungen also in grafischen Chiffren - in Sympathie und Empathie - ist der Ausgangsimpuls des hier nun vorliegenden zeitintensiven Arbeitsprozesses der Beschäftigung mit den Fotos einer Aktion von Joseph Beuys.
Gottfried Bechtold benützt als Bildhauer Zeichengeräte zur technischen Veranschaulichung („Official Business“) sowie zur großformatigen Dokumentation laufender Projekte. Manchmal aber nützt er den Stift auch im Auftrag von Liebhabern und Liebhaberinnen seiner Zeichnungen. So mehrmals für die Galerie.Z die sich ausdauernd und beständig um die künstlerische Handzeichnung verdient macht. Er zeigte hier extra für die Galerie verfertigte Blätter: 2011 „May-Day“ - 300 Flugzeugabstürze in sämtlichen Zeichen-Stilen; 2013 „Akte an Barren“ - lineare leichtathletisch beflügelte Aktzeichnungen; 2015 „Scharfes Eck“ – Genre-Zeichnungen aus dem tiefen Hatlerdorf; 2017 „Coyote“ – spielerisch einfühlende, kritisch inspirierte Überzeichnungen einer Fotodokumentation über Joseph Beuys.
In der Serie „Coyote“ - der Dokumentation von Beuys’ Performance fotografiert von Caroline Tisdall - ist dieser Impuls der Auslöser eines poetischen Automatismus der unmerklich übergehen kann in eine Art witzigen ideologischen Kritizismus. Gefundener Grund – dichte Fügung - könnte man sagen.
Eine Doppeldichtung im weitesten Sinn. Einerseits die der verwundeten Liebe Joseph Beuys’ zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Andererseits die des intuitiven zeichnerischen Zugriffs Gottfried Bechtolds auf jenes ganz besondere kleine Buch, dessen herzwärmende Fotografien indes einen anthroposophisch gemeinten Ganzheitsanspruch dokumentieren.
Er konnte jegliches meiner Kunstbücher als „Readymade“ für seine zeichnerischen Abendunterhaltungen auswählen. Umso größer die Überraschung, als - unter hunderten - es auf den ersten Griff diesen kleinen Band traf.
Ein ziemlich abgegriffenes Büchlein, für dessen reale Beziehungs-anbahnung ich den betreffenden Schamanen zutiefst liebte, und dessen dabei entstandene Beziehungs-Geschichte eines Menschen und eines Tieres ich als beste und berührendste Arbeit von Beuys empfunden hatte. Ich sehe das heute noch so.
Der Kojote ist quasi das uramerikanische Wappentier und diente Beuys 1974 - live - dazu, eine tragende neue Beziehung zu jenem alten und dem jungen Amerika herzustellen, dem er, auf Grund dieser nicht aufgearbeiteten nationalen Verwundung, bisher nur politisches Misstrauen entgegengebracht hatte.
Hier zunächst - frisch von der Leber weg - eine frühmorgendliche Erinnerung von Gottfried Bechtold an Joseph Beuys im O-Ton zu nachtschlafender Zeit:
Beuys sagte: „Das Schweigen von Duchamp wird überbewertet.“
Ich, Bechtold sage: „Wenn das Schweigen von Duchamp überbewertet wird, dann wird das Reden von Beuys zweimal überbewertet.“
Auch sein Outfit entbehrte nicht einer gewissen Lächerlichkeit: Filzhut und Fischerweste... plus verlogener Erzählung des legendären Absturzes auf der Krim und Rettung durch Krimtartaren durch Behandlung in Filz mit Fett. Es könnte wahr sein. Genauso gut wird es gern bezweifelt.
Beuys ist diese Art deutscher Sprücheklopfer.
Spirituelles Outrieren. Changieren zwischen Naivität und super-marktspezifischer Kalkulation!
Gottesdienste durch die deutschen Kunstvereine!
Spekulative Arbeit für den grün-politischen Kunstmarkt!!
Sich Aufstellen lassen durch die Grünen zum Bundestag!!!
Erinnert an – Träumer - wenn sie politisch tätig werden. Welt und Politik entwickeln sich ganz von selbst. Ich brauche keine namentlichen Welt-Verbesserungsmechaniker.
Auf der Documenta 72 war Beuys Berufskollege. Während ich unterwegs war, betrieb er dort sein „Büro für direkte Demokratie“ mit Schreibtisch und Sessel fürs Auditorium. Hinterwäldlerisch, von vorgestern, bzw. von obervorgestern. Er redete mit mir wie der Meister Eckhart zu einem Neugeborenen. Jean-Christophe Amman hingegen fragte immer: „Heesch hüüt d’Seppi scho gseeh?“
Die Diskussion der direkten Demokratie - „Das Volk braucht keine Kontrolle“ - in dieser Portion Misstrauen gegen den Staat bestand Beuys’ Politikverständnis.
Ich bin für den souveränen Staat und gegen direkte Demokratie. Gerade weil ich nicht Politiker bin, will ich ja jemanden ins Parlament schicken der ähnlich denkt wie ich. Ich hatte grundsätzliches Vertrauen in professionelle Entscheidungen. In den letzten zwei und mehr Jahren allerdings zugegeben nicht mehr ... direkt.
Beuys ein typischer alter Neidhammel von Künstler.
Als Grüner der ersten Stunde, bevor es die Grünen überhaupt noch gab, bot sich ihm plötzlich die Gelegenheit eine neue Klientel zu gründen:
„Jeder Mensch ist Künstler“
Er selbst machte plakative mythisch anmutende und Krawall erzeugende Aktionen auf welche junge Leute abfahren und die Grünen grundlos und vorauseilend eine Art Heiligsprechung erfuhren. Was sie ihm bekanntlich nicht gedankt haben.
Szeemann sagte:
Der Österreicher ist ein Metzger.
Der Deutsche ist ein Oberstudienrat der Kunst.
Coyote
Caroline Tisdall hängte sich dran, knipste vier Tage lang. Ich mache nun praktisch Schlussdienst, es gehört jetzt das Licht gelöscht und zugesperrt.
Jetzt kommt wieder Duchamp:
„Alles ist Kunst“:
Das „Readymade“ - ohne es zu bearbeiten stellte Duchamp es ins Museum - das ist eine Höllenarbeit. Mehr Arbeit wie anmalen oder zerschlagen.
Beuys als Bildhauer ist hoch zu schätzen. Er hat ein Loch aufgerissen in Bezug auf die Skulptur (inklusive Narrativ und Legende!) – nämlich dass Fett und Filz wichtig sind – darin liegt auch sein Deutschtum. Deutsche haben synthetisches Benzin und die Margarine erfunden und die Margarineforschung angekurbelt.
Beuys’ Coyote-Aktion war sehr ok. Caroline Tisdalls Foto-Arbeit sehr gut.
Für mich ist es sehr bequem und anregend etwas mir Sympathisches vorzufinden, das meine Empathie herausfordert.
Das bedeutet gleichviel Intelligentes, wie Blödsinniges und Unsinniges.
Es bedeutet verbessern und verschlechtern. Ich störe das Gleichgewicht dieser Fotografien durch meinen Eingriff - oft unsympathisch, oft sympathisch.
Ich fühle mich ein in den Kojoten. Es bedeutet umgekehrt in die Rolle von Beuys zu schlüpfen und wie ein Deutscher zu erklären:
Hier sind die Ohren, das ist der Hirtenstab, usw.
Tiere sind wie Menschen, wir verstehen sie nicht und doch verstehen wir sie.
Beuys Verdienst ist es das Tier in dieser radikalen Form (und anderen radikalen Formen) in seine skulpturale Arbeit empathisch einzubeziehen auf den Ebenen der nonverbalen - lebendigen, bewegten, physischen, visuellen, olfaktorischen, energetischen - Kommunikation.
Etwas konkreter noch zum Readymade aus der Grün-Ökonomie meiner Großmutter: Der erste Kaffee, der erste Tee kann aus Sparsamkeit nochmals aufgebrüht werden.
Das heißt für mich: der Zeigefinger von Beuys – als Krummstab verklausuliert - kann nochmals belebt werden ...
Soweit so hurtig und grantig im Schweinsgalopp - aus dem retrospektiven Halbschlaf - Gottfried Bechtold. Ende O-Ton.
Die befremdlichen Gefühls- und Denkanstöße durch Beuys lagen in den karg angelegten Räumen (Environments) mit schäbigen und archaischen Materialien, krudem Mobiliar, homöopathischen biografischen Anspielungen, kryptisch anmutenden Gegenständen, energetisch aufgeladenen Metallen, die in Beuys’ Kanon zueinander in Beziehung gesetzt sind und aus sich heraus wirkten.
Über die Maßen einnehmend waren für mich die Performances, die er über oder mit Tieren erschuf. Da vor allem „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ und „Coyote“. In der Coyote-„Aktion“ insinuierten die Gegenstände und Aktivitäten, die Beuys während des vier Tage dauernden Zusammenlebens täglich mehrmals gebrauchte und wiederholte, einen Schamanen bei seiner trockenen theatralischen Arbeit. Der gewitzte, aufgekratzte Kojote spielte per se die tragende Rolle, Beuys hingegen das sich in das Tier hineindenkende, einfühlende und ihm antwortende Du. Sehr tollpatschig und typisch deutsch, befindet Gottfried Bechtold, während er die Fotografien studiert.
Beuys entwarf seinen amerikanischen Versöhnungs-Auftritt als einen von A-Z minutiös geplanten völkerverbindenden Akt, die dem Bild von Amerika - durch den Blick in seine Vergangenheit und auf seine Ureinwohner - eine nachhaltige Wende geben sollte, indem er sie als die Frage nach der offenen Wunde zeigte.
„I like America and Amerika likes me“ lautete der listig-gewiefte Titel der Aktion, die Nordamerika mit seiner eigenen Geschichte konfrontiert: A) mit der mehr oder weniger vollständigen Vernichtung der Indianer, B) mit dem späteren Ausrottungsfeldzug gegen den mit dem Indianer identifizierten Kojoten. Letzteres ein großräumig angelegter Versuch, der komplett misslungen ist.
Trotz der zig Millionen Skalp-Prämien, flächendeckenden Gift-Gaben und gemeinen Schnapp-Fallen vermehrte sich der Kojote emsig und breitete sich strebsam aus vom äußersten Westen Richtung Osten über den gesamten Kontinent. Er gilt neben dem Menschen als die anpassungsfähigste und listigste Kreatur.
Die Amerika belehrende Aktion mit dem Kojoten gab Beuys auch die Gelegenheit, sich mit seiner den Amerikanern suspekten Kunstauffassung dem Boden der USA, - den er ja durch die Choreografie dieser Aktion absichtsvoll nicht betreten hatte - auf ungemein gewinnende Art zu nähern.
In der auch in kammermusikalischer Hinsicht hinreißenden Performance arbeitete der „wilde“ Kojote Little John – so der weltliche Name des archaischen Schelms und Beuysschen Werbeträgers für die Wieder-Aufnahme der Beziehungen des neuen Amerika zum alten Amerika sowie zu Deutschland – gewissermaßen in eigener Sache in seiner Rolle als Trickster.
Little Johns Herkunft konnte nie wirklich eruiert werden. Auch Caroline Tisdall, als Beuys’ Seelenfreundin und Geheimnisträgerin hielt sich bedeckt. Auf Anfrage gab sie preis, dass er von einer „Farm in New Jersey“ gekommen war. Die Autorin von ORIGIN STORY, Elena Pasarello, hatte ein berufliches Interesse an seiner Herkunft. In ihrer letzten Kolumne über berühmte Tiere der Geschichte - „featuring Little John, a coyote who made seventies art-world history“ - schreibt sie seinen Lebenslauf zum guten Ende: Obwohl, so Pasarello, 1974 Kojoten in New Jersey noch rar waren, nur von 29 gesichteten Individuen wird öffentlich berichtet, hätte sich dies in den letzten vierzig Jahren drastisch geändert. Tausende der gewandten und so wandelbaren Tiere, würden heute an der Ostküste Nordamerikas im Garten-Staat New Jersey umherstreifen und wegen ihrer Schläue beobachtet und bewundert. Vielleicht war ja Little John einer dieser 29, wurde als Welpe von Farmern eingefangen und als Haustier gehalten – „wild“ war er nämlich nicht. Eventuell nahm er sich als junger Wildhund, beschwingt durch seine aufsehenerregende Performance 1974, bei Rückkunft die Freiheit von zu Hause fortzulaufen, und „etwas Neues aus sich zu machen“ - und wurde dabei vielleicht zum Stammvater einer besonders breitgefächerten Linie im beachtlichen Stammbaum des New Jersey-Kojoten.
„Doch Little John war immerhin Zeitgenosse von Andy Warhol. Das einzige, was wir von ihm haben, ist der Reichtum jener Stunden in der Großstadt, schreibt Elena Pasarello, wo er als er selbst agierte, aber nicht als er selbst wahrgenommen wurde.Er wurde als COYOTE gesehen. Als ein Symbol. Ein Sinnbild, um einen Menschen – den Indianer – in eine Metapher zu hüllen.“
Lill’John benahm sich jedenfalls ganz und gar als er selbst in der Galerie Renè Block. In höchstem Auftrag und Hunde artiger Fragefreude agierte er als Beuys’ begeistertes wechselwendiges Medium. Man kann es bereits auf den Fotografien von Caroline Tisdall sehen, wie er die Vorführung schamanischer Camouflage gewitzt durchblickt und damit auch gleich reinen Tisch machen will.
In den Filmaufnahmen ist die Sportlichkeit und Keckheit, die Wildheit und Zuwendung, die Aggressionslust und Gerissenheit, die höhere Dienstbeflissenheit und ernsthafte Freudigkeit, aber auch die gemeinschaftliche Nachdenklichkeit und entstandene Vertraulichkeit des verspielten Tieres mit dem fremden Menschen zu beobachten ... und mit Entzücken zu rezipieren:
Die sieben Sachen der Aktion (2 Filzbahnen, Krummstab, Triangel, Handschuhe, Taschenlampe, Wallstreet Journal) werden dem Tier zu Beginn der Aktion von Beuys gezeigt und vorgelegt. Auf jedes einzelne pisst er der Reihe nach in aller Ruhe, nimmt es auf in seinen Besitzstand, bevor noch der Beziehungsaustausch so richtig begonnen hat. Er schaut stets in Richtung Gesicht des nun vollständig filzverhüllten Beuys, der ihn seinerseits im Blick hält, spurt um ihn herum, rüttelt am Hirtenstab des gebeugten Schamanen, zieht aggressiv provokant an seinem Tipi aus Filz, küsst ihn per Biss ins filzverhüllte Gesicht, tanzt mit dem Beuys den großen Zieh-Tanz und stupst ihn an, wenn Beuys am Boden liegt. Am Ende der als Wiederholung konzipierten Einheiten der Aktion, die er mehrmals am Tag mit Verve vollführt und dann zum Schluss das Triangel schlägt, wirft Beuys ihm einen der Handschuhe zu. Little John fängt diesen routiniert-sportiv aus der Luft. Er kennt seinen Beuys und beutelt seine zweite Haut in echter gespielter Wut, währenddessen kurz die Turbinengeräusche zu hören sind. Über die Tage reißt er allmählich die voluminöse Filzbahn Nr. 1 in Streifen und beobachtet das Schamanenwesen, wenn er nicht gerade auf dem zweiten Filzhaufen mit der integrierten Taschenlampe liegt und aufmerksam döst. Sein mitgebrachtes Stroh in der Fenster-Ecke überlässt er ganz Beuys, gesellt sich ihm aber hin und wieder zu und beobachtet einträchtig mit Beuys, der auf des Kojoten Stroh liegend seine Zigarette raucht, das New Yorker Straßenleben. Dies gehört zu den selbstverständlichen rekreativen Zwischentätigkeiten. Dazwischen hebt der Kojote regelmäßig das Bein, pinkelt, markiert und kackt auf das, in 50 Ausgaben täglich ankommende und dann im Raum verstreut vorliegende, Wallstreet Journal mit den neuesten Finanz- und Wirtschaftsnachrichten.
Von einem Kojoten, der zur Zeit der amerikaweiten Kojoten-Verfolgung lebte, kann man wiederum lesen, dass dieser eine für Kojoten bestimmte Schnapp-Falle säuberlich ausgegraben hat, sie emporwuchtete, dabei deren Oberseite nach unten wendete und oben darauf gekackt hat...
In einer Galerie mitten in New York trifft der mythische Wende- und Wandlungsmeister der Indianer, in seiner Zuschreibung als Trickster - in C.G. Jungs Archetypus des göttlichen Schelms je nach Ursprungsmythos als Tiergestalt, Halbgott oder Geist beschrieben - , auf den wandelnden deutschen Schamanen, jenen modernen Trickster in seiner Rolle als sogenannter „umstrittener Künstler“!
Das Mythologem des Tricksters wurde bei den Eingeborenen Nordamerikas eingehend studiert. Es kommt hier in der Szenerie der Galerie Renè Block wechselwendig zur Darstellung.
Was ist der Trickster? Die Figur des Tricksters kann in ihrer Ambivalenz aus amoralischen oder aus moralischen Gründen handeln. Sie kann als Kulturheros fungieren, also als jemand, der eine große Tat mit fundamentalen gesellschaftlichen Auswirkungen vollbringt. Etwa indem er den Menschen den Ackerbau erklärt oder das Feuer bringt ... oder eben die „Soziale Plastik“ ... oder ... indem er in seiner Rolle als göttlicher Schelm Amerika an dessen Wunde erinnert.
Der 1921 geborene und 1986 verstorbene Joseph Beuys, wurde zu Lebzeiten umfassend filmisch dokumentiert. Es stehen also heute viele Quellen offen, um Beuys - in seinen eigenen Worten, mit seinem gewinnenden Pferdelachen, seiner Schlagfertigkeit, seinem Wissen - lebendig zu erfahren und seinem lebenslangen Projekt des Plastischen und seiner Definition der sozialen Plastik näher zu kommen.
Mittlerweile wird jedoch in kompetent denunziatorischer Methode an Beuys’ Demontage gearbeitet. Eine umfangreiche neueste Biografie sieht ihn als Anhänger „völkischer“ Lehren. Ob dieses niedere zeitgenössische Trachten gelingen wird?
Ich glaube nicht.
Was an Beuys war oder ist denn rückblickend „umstritten“?
Seine homöopathisch durchwirkten Installationen? Seine Nähe zur Anthroposophie Rudolf Steiners die er zeichnerisch feinsinnig filigran interpretiert, plastisch umsetzt und lebenslang lehrt? Seine Vergangenheit als junger Mensch im Nationalsozialismus? Dass er sich als HJ-Junge begeistern ließ? Dass er sich als 18 jähriger für 12 Jahre zum Militär als Stuka-Luftfahrttechniker verpflichtete? Dass er als Jugendlicher den Krieg und das Fliegen als Herausforderung und Abenteuer empfand, was er nicht verschwiegen hat? Dass er als Kriegsteilnehmer nach dem Krieg – wie viele Kriegsteilnehmer – aus mancherlei Gründen keine Worte fand? Seelisch und lebenstechnisch zusammenbrach? Dass er psychisch verändert daraus hervorging, nach eigenen Antworten suchte? Und ja, die pfiffige Legendenbildung! (Der Flugzeug-Absturz am 16. März 1944 über der Krim entspricht der Wahrheit. Beuys’ Bild seiner „Rettung und Heilung durch Krimtartaren ... mittels Filz und Fett“, entspringt wohl dem hellsichtigen Fiebertraum des schwerverletzten Beuys, den er mithinübernimmt in seine Welt der charismatischen Selbstbegründung. Beuys wurde von einem Suchkommando am 17. März 1944 aufgefunden und ins Lazarett gebracht. Dort wurde ihm eine Metallplatte in die Schädeldecke eingesetzt. Eines Tages will er seinen Kopf effektiv schützen und für immer einen Filzhut tragen. Anglerweste und Jeans steuert Ehegattin Eva Beuys bei. Woher der bodenlange Mantel mit Polarfuchskragen und Innenpelz kam, entzieht sich der Kenntnis).
Gibt es Dinge, die Gottfried Bechtold mit Joseph Beuys verbinden?
Die 5. Documenta 1972 inszeniert von Harald Szeemann und Jean-Christophe Ammann beinhaltete eine Abteilung mit dem Titel „Individuelle Mythologie“. Darunter fielen zwei Dauer-Performances, die ähnlicher und zugleich unterschiedlicher nicht sein konnten: Die des 51 Jährigen Joseph Beuys und die des 25 jährigen Gottfried Bechtold.
Beuys - 100 Tage persönliche Anwesenheit in Kassel – subjektiv als Künstler und stets zugängliches „Kunstwerk“ - objektiv verstanden als Redner und Lehrer im Büro für direkte Demokratie. Dort selbst von jedem Besucher live zu hören und zu erleben, um in der Folge Beuys’ Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ zu folgen und in seinem ureigenen Lebensbereich schöpferisch wirksam zu werden.
Bechtold - 100 Tage persönliche Anwesenheit in Kassel – subjektiv als Künstler und per se „Kunstwerk“ - mit etwas Glück im Café oder Restaurant anzutreffen. Ganz ohne politisch-messianischen Anspruch auf eigenen, nichtnachvollziehbaren Wegen gehend. Als Künstler das tun was zu tun ist, das ergreifen was zuhanden ist, und aus dieser Willkür ästhetische Konsequenzen ziehen.
Beide erfüllten im weitesten Sinn Duchamps Standpunkt: „Alles ist Kunst“.
Joseph Beuys geboren 1921, Kriegsteilnehmer, Gottfried Bechtold geboren 1947, Nachkriegskind. Beiden gemeinsam die klassische Ausbildung zum Bildhauer. Ebenso, sich ein Leben lang mit dem Krieg und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. In der gebotenen Gewichtung auch mit der Rolle der Kunst. Ihre plastisch-skulpturalen Konzepte auf der Documenta 72 trennt ein Abgrund. Bechtold als „Skulptur“ - ein ephemeres Individuum solo für sich selbst stehend. Beuys als „Plastik“ - in unermüdlichem Selbstverschleiß die Ausrufung und flüchtige Verwirklichung der „Sozialen Plastik“ realisierend. Kurz gesagt: Bechtold vollzog die Gedankenkonsequenz des Marcel Duchamp. Beuys verbildlichte die Konsistenz der Gedanken von Rudolf Steiner. Gemeinsam ist ihnen die Suche nach einer Material-Sprache beziehungsweise Symbolsprache, die ihrer Haltung zur Welt Ausdruck verleihen kann. Beuys gehörte einer Generation an, die im Nationalsozialismus erwachsen wurde. Er sucht in der Kunst Wege, die durch die Nationalsozialisten vergifteten Symbole deutscher Erzählung und Geschichte zu heilen.
Caroline Tisdall erklärt in einem Zeitungs-Interview, warum Beuys sich so tief in die deutsche Kultur versenkte und sie aus der Verdrängung wieder in den Blick hebt. Beuys hielt es für eine Gesellschaft zutiefst gefährlich, auf Dauer ohne kulturellen Unterbau, ohne Fundament, ohne Gründungserzählung zu existieren. (Jonathan Jones, Joseph Beuys: The man who fell to earth. The Guardian 19 July 1999)
Beuys war während der 100 Tage fast täglich im Büro für direkte Demokratie anwesend. Dies entsprach seiner Kunst-Auffassung, die er in seiner Mission als Kommunikator, als Lehrer und als Gestalter der „sozialen Plastik“, angenommen hatte. Er war als Ikone deutlich sichtbar, als Vortragender immer ansprechbar.
Bechtold sagt darüber:
„Beuys hat erfüllt, was ich versprochen habe“. „Von Beuys wusste man, dass er Künstler ist. Von mir vermutete man es. Mit dem Künstler ist auch die Kunst anwesend.“
Bechtold war nicht ohne weiteres sichtbar, der Hinweis auf ihn erfolgte über zwei Fotografien am Eingang bei der Kasse und sein Aufenthalt wurde in regelmäßigen Abständen per Lautsprecher bekanntgegeben. Die durch und durch antiideologische Position, ein radikal wahrzunehmender Standpunkt, der seine Arbeit durchdringt, konnte bei diesem Auftritt erkannt werden. Bechtold verzichtet als Künstler auf Parteinahme, verweist in seiner Arbeit auf das Naheliegende, betont der Welt nichts hinzufügen sondern Vorhandenes hervorheben zu wollen, nicht verbessern sondern erkennen zu wollen und lädt ein zur meditativen Betrachtung der materiellen Aspekte des Lebens. Bechtold fasst Geschichte nicht als politischen Lehrstoff oder spirituelle Belehrung, sondern als dichte Textur unvermeidbar gesetzter unaufhebbarer Fakten, und setzt auf Bildung durch Anerkennung der Geschichte - ohne wenn und aber.
Beuys ist für ihn charismatisch in seiner Kunst, - sagen wir als eine Art selbstermächtigter Heiler der deutschen Seele, - aber höchst fragwürdig in seinem Sendungsbewusstsein als Weltverbesserer mit deutscher Gründlichkeit und deren Tendenz zum Ökofaschismus. Es gibt auch Gemeinsames insofern als Beuys der Ältere ist, und Bechtold ihn vollständig in sich aufnahm.
Am 19.1.1972 wird Beuys im Folkwang-Ring von einem Zuhörer wütend unterbrochen: „Sie reden über Gott und die Welt, nur nicht über Kunst.“ Beuys antwortetet: „Aber Gott und die Welt ist die Kunst“.
Mit allem was die Welt beinhaltet und in ihr wirkt, würde Bechtold hier ergänzen.
Beide verbindet auch der Umgang der Öffentlichkeit mit ihrem Werk. Beuys traf es gleich zweimal: 1973 wurde jene von ihm mit Mullbinden und Heftpflaster versehene Kinder-Badewanne in Leverkusen bei einem SPD Parteiabend gründlich ausgeschrubbt und zum Spülen von Gläsern benutzt und 1986 verschwand seine berühmte Fettecke in der Düsseldorfer Kunstakademie im Eimer des Hausmeisters. Bechtold traf es härter. Als wahrhaft lapidares Denkmal für globale Gesprächskultur war Bechtolds Interkontinentale Skulptur (1985 auf dem Platz vor dem Konferenzzentrum der Wiener UNO-City errichtet) schon von weitem von der U-Bahn aus zu sehen: 5 Monolithe aus den fünf Erdteilen - innerhalb eines Jahres gesucht, aufgefunden und herbeigeschafft – deren Eigenständigkeit symbolisierend. 5 Urgesteine (durchdrungen von einem durchlaufenden, im Winkel im Inneren der Steine umgelenkten, gelbgrünen Laserstrahl), als materielles und virtuelles Symbol für Völkerverbindung und Kommunikation vor Ort. Es ist ein paar Jahre her, da wurden die 316 Tonnen Monolithe von der IAKW, Betreiberfirma des Internationalen Konferenzzentrums, ohne Ankündigung, ohne Veröffentlichung und Angabe von Gründen entfernt, bzw. destruktiv durchbohrt, brachial gespalten und zerstört auf einer Deponie endgelagert. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.
© Sylvia Taraba, 2017
Literatur:
Caroline Tisdall, Coyote, 1976
Caroline Tisdall, Beuys, Katalog Guggenheimmuseum 1979
Joseph Beuys: We go this Way. By Caroline Tisdall. Artwork by Joseph Beuys. 1999
Hans-Peter Riegel, Beuys, 2013
Andreas Veiel, „BEUYS“, Film seit 18. Mai 2017 im Kino
Little John
Rumo